Archiv 2005 - 2001

17.04.2002

Die Mühe der Auslegung nicht scheuen

Pressemitteilung: Ulrich H.J. Körtner über „Religion oder Wort Gottes“

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Für sorgfältigen Umgang mit der Sprache: Professor Dr. Ulrich H.J. Körtner von der Universität Wien

Auf der jährlichen Pfarrkonferenz in Stapelage bei Detmold sprach der Theologe von der Universität Wien über „Religion oder Wort Gottes“ und beschrieb dabei die gegenwärtige Lage evangelischer Theologie. Er appellierte an die Pastoren, sorgfältig mit der Sprache umzugehen. Nach seiner Beobachtung gibt es einen Sprachverlust in Glaubensthemen, der gleichbedeutend mit einem „Verlust des Lebensbezugs“ ist. Dem kann man nach seiner Überzeugung nur begegnen, wenn man sich den Texten aussetzt und an ihnen abarbeitet. „Wir haben Mühe mit den biblischen Texten, aber sie sind der Mühe wert“, sagte der Professor für Systematische Theologie unter dem Beifall der lippischen Gemeindepfarrer.
Zuvor hatte er sich mit der Spannung zwischen menschlicher religiöser Erfahrung und Offenbarung auseinandergesetzt: „Ist Gott Mensch geworden und wird sein Wort in menschlicher Rede vernehmbar, so hat er sich selbst dem Konflikt der Interpretationen ausgeliefert.“ Angesichts dieses Konflikts setzte sich Körtner mit jenen wissenschaftlichen Modellen auseinander, die sich mit dem Akt des Lesens befassen und danach fragen, wie ein Text auf den Leser wirkt. Bei aller Wertschätzung dieser Sichtweise warnte Professor Körtner vor einem „Abgleiten“ der Theologie in bloße Kultur- oder Literaturwissenschaft. Er ging auf das scheinbare „Schweigen Gottes“ ein, das heute mehr denn je empfunden werde - angesichts schrecklicher Ereignisse und der Frage, wie Gott das zulassen kann. Zu fragen sei bei grauenhaften Verbrechen wie dem Holocaust, wer vom Schweigen Gottes spricht: „Sind es die Opfer – oder die Täter?“ Es gibt nach Körtners Überzeugung ein Schweigen Gottes, das Ergebnis menschlicher Schuld ist: „Gott schweigt, weil er von den Menschen zum Schweigen gebracht wird“ – am deutlichsten werde dies in der Person des gekreuzigten Christus. Nicht weil er abwesend wäre, sondern „weil er ganz gegenwärtig ist, verstummt Gott. Seine Macht ist die Macht der Liebe, die in Jesus von Nazareth menschliche Gestalt angenommen hat. Es ist dies eine ohnmächtige Macht, nicht unwiderstehlich, sondern widerstehlich, verletzbar und zerbrechlich.“

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