Archiv 2005 - 2001

28.02.2002

Alten Menschen ihre Entscheidungsfreiheit lassen

Pressemitteilung: Der Ökumenische Altenheimbesuchsdienst Lemgo besteht seit 15 Jahren

- -
   
Stellvertretend für die 45 ehrenamtlichen Altenheimbesucherinnen in Lemgo: Traute Bauer, Margit Gatz, Elisabeth Wunsch, Annelie Witter, Margot Kohlschmitt, Anna Kienscherf, Ellen Vollmer, Irmgard Rudolph (vordere Reihe, von links); Käthe Riewe, Erika Martens, Sonja Laufer (hintere Reihe, von links).

Regelmäßig besuchen sie seitdem das Altenheim Echternstraße, das Krankenheim St. Loyen und das Betreuungszentrum St. Loyen. „Man hat ja so wahnsinnig viele Vorstellungen, was man alles machen möchte“, berichtet Erika Martens. Im Eingehen auf die Menschen im Altenheim treten diese wohlgemeinten Aktivitäten aber zunächst einmal in den Hintergrund. „Ich muss mich selber zurücknehmen und nicht meinen, ich mache das jetzt aus edlen Gefühlen“, sagt Annelie Witter. Viele Besuchsdienst-Frauen gehen mit der Motivation an ihr Ehrenamt heran: Ich will helfen, ich will etwas Sinnvolles tun. Zum Beispiel Irmgard Rudolph: „Ich wollte nach meiner Pensionierung etwas Nützliches machen.“ Ihr erster Besuch stieß auf Ablehnung – zunächst eine enttäuschende Erfahrung. Aber sie ließ sich nicht entmutigen und unternahm bei einer anderen Bewohnerin einen zweiten Versuch. Nun ist sie seit drei Jahren dabei. Ihre Kollegin Elisabeth Wunsch, die 1987 zu den Gründungsmitgliedern zählte, erinnert sich heute lächelnd daran, dass sie bei ihrem ersten Besuch mit den Worten: „Ich kaufe nichts!“ empfangen wurde.
Käthe Riewe leitet des Besuchsdienst seit seinen Anfängen. „Wenn ich im Vorfeld schon weiß, was dem anderen gut tut, dann bin ich fehl am Platz“, beschreibt sie eine Grundvoraussetzung. Die Besucherinnen begegnen den alten Menschen, auch wenn diese geistig gebrechlich sind, mit Respekt: „Ich muss immer wieder darauf achten, dass der andere seine Entscheidungsfreiheit behält.“ Immer wieder gibt es Situationen wie diese, die Traute Bauer berichtet: Sie kommt und merkt, dass die Bewohnerin offensichtlich etwas bedrückt. Um sie aufzuheitern, schlägt sie einen Spaziergang vor, zumal das Wetter sehr schön ist. Doch der Vorschlag stößt nicht auf Gegenliebe. Schließlich berichtet die Bewohnerin von Schwierigkeiten mit ihrer Nachbarin und weint sich aus, eine halbe Stunde lang. Erst dann ist der Zeitpunkt für den Spaziergang gekommen, und sie genießt ihn.
Besonders bei verwirrten Menschen ist der respektierende Umgang nicht immer einfach. Etwa bei einer dementen Frau, die geistig in einer anderen Welt lebte: an der Weichsel, in ihrer alten Heimat. Wenn Sonja Laufer sie besuchte und mit ihr am Wall spazieren ging, dann war sie an der Weichsel, dann waren dort Hühner, Ziegen und Kühe. Diese alte Frau fand Geborgenheit in ihrer Erinnerung. Es gehören Einfühlungsvermögen, Geduld und Weisheit dazu, dem Gegenüber solche Gedankenwelten zu lassen und - nicht von oben herab - darauf einzugehen. „Es ist mir am Anfang schwer gefallen, in solchen Situationen nicht zu korrigieren“, gibt Annelie Witter zu. Die regelmäßigen Fortbildungen in Stapelage, wo der qualifizierende Erfahrungsaustausch durch Fachleute ergänzt wird, haben hier große Bedeutung. Ganz verschieden können die Möglichkeiten des Zugangs sein. Ellen Vollmer besucht eine verwirrte Frau, mit der keine verbale Verständigung mehr möglich ist – außer durch Singen und Beten: „Da kann sie unglaublich viel auswendig.“ Zu Anna Kienscherf sagte eine Dame mit etwas bitterem Unterton: „Ich bin aus Galizien; keiner weiß, wo das ist.“ Daraufhin machte sie sich kundig, sprach die Dame beim nächsten Besuch auf einzelne Dinge in ihrer galizischen Heimat an. Das schuf verbindende Nähe, ließ die Bitterkeit schwinden.
„Alle Menschen haben das Bedürfnis nach sozialen Beziehungen und nach Wertschätzung“, stellt Käthe Riewe fest. Das gilt auch für Altenheimbewohnerinnen, gleich in welcher geistigen Verfassung sie sich befinden. Besonders gerne erinnert sich Erika Martens an einen alten Mann, dessen Vertrauen sie gewonnen hatte und den ihre Besuche offensichtlich freuten. Um so erstaunter war sie, als er schließlich etwas verlegen zum Ausdruck brachte, dass sie ihn doch lieber nicht mehr besuchen solle. Mit dem Grund wollte er nicht so recht herausrücken, meinte aber endlich: „Ja weißt du, Mädchen, ich bin doch viel zu alt für dich...“ Das bedrückte ihn. Als sie ihm klarmachen konnte, dass sie ihn besuchte wie eine Tochter ihren Vater, war er erleichtert und zufrieden. Sie besuchte ihn bis zu seinem Tod.

Der Ökumenische Altenheimbesuchsdienst freut sich über Männer und Frauen, die an einer Mitarbeit interessiert sind. Ansprechpartnerin ist Käthe Riewe, Telefon 05261/71797.

  • Twitter
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Windows Live